Offener Brief an „Dog World“
Unter dem Motto „Born to suffer“ und „Bred for looks – born to suffer“ organisiert die britische Tierschutzorganisation RSPCA eine Offensive gegen Show- und Qualzucht. „Die Royal Society for the Prevention of Cruelty to Animals“ (RSPCA ) ist die älteste und größte Tierschutzorganisation der Welt. Schon um 1830 hat sie sich um das Wohl der Hunde verdient gemacht, als sie maßgeblich an der Durchsetzung des Verbotes der Hundekämpfe in England und Wales beteiligt war.
Anders als in Deutschland formiert sich im Mutterland der Rassehundezucht eine wachsende, breite Öffentlichkeit zum Schutz der Hunde vor Qualzucht und Show-Wesen. Sie fordert eine grundlegende Wende in der Rassehundezucht, wie es auch der „Dortmunder Appell“ tut. In Deutschland schauen die Organisationen des Tierschutzes weg, ignorieren diesen Skandal systematischer Tierquälerei mit erstaunlicher Konsequenz. Behörden und Staat schauen ebenfalls weg. Als die Novelle des Tierschutzgesetzes ein Verbot des Ausstellens von Tieren mit Qualzuchtmerkmalen vorsah, empörte sich sogleich der Verband für das deutsche Hundewesen (VDH) dagegen.
Es wäre nur zu wünschen, dass auch in Deutschland etwas Substanzielles für den Schutz der Hunde getan und dem Unwesen der Show- und Qualzucht ein Ende bereitet würde.
Mit freundlicher Genehmigung: Christoph Jung (www.petwatch.blogspot.de)
Die Übersetzung:
In diesem offenen Brief, der eine Antwort auf einen Brief von Steve Dean, dem Vorsitzenden des britischen Kennel Club, an die Zeitschrift „Dog World“ darstellt, erläutern wir den Hintergrund unserer „Born to Suffer“-Kampagne (Deutsch: „Geboren, um zu leiden“). Sie können ihn nachfolgend lesen:
An die Herausgeberin von „Dog World“
Sehr geehrte Frau Durrant,
die „Born to Suffer“-Kampagne ist Teil einer breiter angelegten Kampagne, deren Ziel es ist, die zahllosen Probleme der Hundezucht – einschließlich der Hundevermehrung (im Original: „puppy farming“) – anzusprechen und Interessenten zu helfen, einen verantwortungsvollen Welpenkauf zu tätigen.
Im Februar 2011 veröffentlichten wir ein neues Online-Tool namens „Get Puppy Smart“, um Welpenkäufern zu helfen, beim Kauf eine fundierte Entscheidung zu treffen. Dieses Tool war der Ausgangspunkt der Kampagne. Zudem berichten wir schon seit einigen Jahren darüber, welche Gefahren damit verbunden sind, Welpen bei skrupellosen Züchtern und Vermehrern zu kaufen.
Allerdings stößt unser Rat auf taube Ohren. Neue Studien der RSPCA haben gezeigt, dass der Glaube, Rassehunde und deren Welpen seien stets gesund und stammten aus qualitativ hochwertiger Zucht, nach wie vor weit verbreitet ist.
Es gibt jedoch wissenschaftliche – und auch noch andere – Hinweise, dass viele Rassehunde eine unnötige Anfälligkeit für Krankheiten, Behinderungen, Schmerzen und Verhaltensstörungen zeigen. Dies ist zumindest zum Teil darauf zurückzuführen, dass nach wie vor vorrangig auf Aussehen statt auf Gesundheit, Wohlbefinden und Wesen gezüchtet wird.
Wir sind überzeugt, dass Rassestandards und Ausstellungen wie „Crufts“ das Bestreben fördern, Hunde einem bestimmten Aussehen entsprechen zu lassen – einem Aussehen, das zu Lasten ihrer Gesundheit und ihres Wohlbefindens geht. Die Zucht und das Ausstellungswesen können sich unmittelbar auf eine Rasse auswirken, vor allem, wenn einzelne Zuchtrüden sehr viele Nachkommen zeugen.
Wir sind darüber hinaus der Ansicht, dass dadurch der skrupellose Handel mit „billigen“ Hunden gefördert wird, denn das Verlangen des Menschen, dass etwas einem bestimmten Aussehen entsprechen soll, ist wesentlicher Bestandteil menschlichen Verhaltens. Untersuchungen der RSPCA zeigen, dass beim Welpenkauf Aussehen und Rasse eines Welpen einen weitaus größeren Einfluss auf die Kaufentscheidung haben als sämtliche rationalen Überlegungen. Dabei wird auch alles Wissen um die Bedeutung verantwortungsvoller Kaufentscheidungen außer Kraft gesetzt. In gewisser Weise ist Championatszucht (im Original: „pedigree dog breeding“) Teil derselben Problematik wie verantwortungslos betriebene Rassehundezucht (im Original: „irresponsible purebred breeding“) und Vermehrung (im Original: „puppy farming“).
Falls es nicht ganz oben, dort wo diejenigen sitzen, die die Macht dazu haben, zu Änderungen kommt und dort diesen für das Wohl der Hunde wichtigen tierschutzrelevanten Fragen entsprochen wird, ist es unser Meinung nach vergebliche Liebesmüh weiter unten, im „billigeren“ Bereich des Hundemarktes, Veränderungen anstreben zu wollen.
Wo eine Kaufentscheidung hauptsächlich durch das Aussehen motiviert wird und der Preis eine wichtige Entscheidungsgrundlage darstellt, werden sich viele Menschen für einen billigeren Welpen entscheiden, ungeachtet der Risiken und Konsequenzen. Trotzdem werden sie auch bei diesem Welpen nach denselben Merkmalen Ausschau halten wie bei einem Hochzuchthund.
Wir befürchten, dass eine Lösung dieser Probleme – trotz der Bemühungen des Kennel Club und der Züchter – noch lange nicht in Sicht ist. Unserer Ansicht nach sind weitreichendere Anstrengungen und eine intensivere Zusammenarbeit all derer erforderlich, die an der Hundezucht beteiligt sind, um die dringend benötigten Veränderungen durchzusetzen. Wir möchten Beweise dafür, dass bei diesem für das Wohlergehen der Hunde wichtigen Thema nicht nur Lippenbekenntnisse gemacht werden.
Die RSPCA ist nicht Rassenhunden gegenüber ablehnend eingestellt, sondern bezieht gegen eine verantwortungslose Hundezucht Stellung, bei der Hunde Leiden erfahren müssen, das voraussehbar und vermeidbar wäre. Wir sind der Ansicht, dass jeder, der Hunde züchtet, bei der Auswahl seiner Zuchttiere Gesundheit, Wohlbefinden und Wesen Vorrang vor Äußerlichkeiten einräumen sollte, um das Wohlergehen der Nachkommen und der Elterntiere zu sichern.
Wir wollen verantwortungsvolle Züchter und Hundehalter unterstützen. Dazu gehört, verantwortungslosen Züchtern den Wettbewerb zu erschweren und soweit wie möglich zu verhindern, dass sie verantwortungsvolle Züchter unterbieten. Dieses Ziel kann u. a. dadurch erreicht werden, die Praktiken und Konsequenzen verantwortungslos betriebener Zucht öffentlich zu machen. Wir sind bestrebt, mit Züchtern zusammenzuarbeiten, um Fortschritte in dieser für das Wohl der Hunde extrem wichtigen Angelegenheit zu erreichen.
Wir sind auch nicht gegen das Ausstellungswesen an sich, aber wir halten es für unerlässlich, dass darauf verzichtet wird, mithilfe von Ausstellungen tierschutzrelevante Praktiken wie das Züchten auf extreme phänotypische Merkmale positiv herauszustellen und zu fördern. Bei Ausstellungen, die eine so große Bedeutung und Reichweite haben wie Crufts, müssen die Tiere in den einzelnen Klassen aufgrund von Gesundheit, Wesen und Wohlbefinden gerichtet werden.
Zwar finden die Änderungen, die 2009 an den Rassestandards vorgenommen wurden, unsere Anerkennung, jedoch sind wir sowie verschiedene andere führende Mitglieder der britischen Tierärzteschaft der Ansicht, dass diese Änderungen nicht weit genug gehen. Auch wenn die Rassestandards die extremeren physischen Merkmale nicht fördern, so erlauben sie Richtern jedoch weiterhin, die Sieger entsprechend dieser Merkmale auszuwählen. Dies wurde bei der Crufts 2011 deutlich.
Dass ein Hund ein Rassehund ist, gilt im öffentlichen Bewusstsein als Qualitätsmerkmal. Dementsprechend besitzt der Kennel Club die Macht, Maßstäbe zu setzen, wenn es darum geht, durch Änderungen der Rassestandards die Gesundheit und das Wohlergehen der Hunde in den Vordergrund zu stellen. Der Kennel Club kann verantwortungsvoll arbeitende Züchter schützen. Dazu muss er jedoch unverantwortliche Zuchtpraktiken als solche kennzeichnen – sowohl im eigenen, unmittelbaren Einflussbereich, als auch darüber hinaus.
Wir sind der Ansicht, dass unsere Chancen, erfolgreich gegen verantwortungslose Praktiken der Vermehrung und des Hundekaufs vorzugehen, bei entsprechenden Änderungen viel größer und um einiges nachhaltiger sein werden.
Mit freundlichen Grüßen
(www.rspca.org.uk)