„Laufen – mit der Ausdauer und Geschmeidigkeit eines Wolfes“ – davon träumt jeder Hund, ob groß oder klein, ob alt oder jung, ob Rassehund oder Mischling. Mit ihren langen Beinen können sich die Vorfahren unserer Hunde schnell und federnd fortbewegen. Der Wolf besitzt die typische Statur eines perfekten Läufers. Laufen ist die wichtigste Fähigkeit des Wolfes. Nur durch seine Geschwindigkeit und seine Geschicklichkeit ist es ihm möglich, Beute zu machen und zu überleben: „Der Wolf ernährt sich mit den Füßen.“ Auf gutem Boden und bei höchster Eile kann der Wolf eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 60 Stundenkilometern erreichen und er besitzt genügend Ausdauer, um dieses Tempo einige Minuten durchzuhalten.
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„Der heutige Haushund ist nachweislich auf den domestizierten Wolf zurückzuführen. Doch 15.000 Jahre Domestizierung haben das Bild des Wolfes sehr verändert und uns eine Rassenvielfalt vom Zwergdackel bis zum Bernhardiner geschenkt. Trotz vieler Unterschiede ist dem Hund eins auf jeden Fall erhalten geblieben: Die Lust am Laufen, der Drang zur Bewegung!“
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Was aber, wenn Hunde diesem Drang nicht mehr nachkommen können, weil sie in einem Körper leben, der es ihnen nicht erlaubt, sich frei und ohne Schmerz zu bewegen?
Was ist Qualzucht und wo beginnt sie? Die Antworten auf diese Fragen werden wohl unterschiedlich ausfallen: Je nach Sichtweise lässt ein überdimensionierter, faltiger Mastino Napoletano (Neapolitanischer Mastiff), der sich unter seiner eigenen Last kaum noch bewegen kann, das Züchterherz begeistert höher schlagen, während es einem Dritten vor Bestürzung die Tränen in die Augen treibt.
Mastino Napoletano
Qualzucht ist weit verbreitet und nicht nur auf Hunde beschränkt. Selbstverständlich gilt unser Anliegen, auf Missstände der heutigen Zucht aufmerksam zu machen, nicht allein der Hundezucht. Auch Züchtungen wie die amerikanische „Känguru-Katze“, die sich aufgrund ihrer verkürzten Vorderbeine nur noch hoppelnd fortbewegen kann, verurteilen wir aufs Schärfste. Wir sind ausdrücklich gegen jegliche Form der Qualzucht – unabhängig von Rasse und Tiergattung –, möchten sie aber vorwiegend am Beispiel des Hundes veranschaulichen.
Sofern hier einzelne Rassen häufiger thematisiert werden als andere, soll dies nicht den Eindruck erwecken, es soll hier eine Hetzkampagne gegen diese Rassen geführt werden. Diese Rassen werden beispielhaft aufgeführt, weil sich an ihnen die Merkmale einer Qualzucht ganz besonders deutlich aufzeigen lassen.
Die Selektion auf Extreme ist eine Zuchtmethode, die in den vergangenen Jahren immer weiter vorangetrieben wurde. Sie führt zu einem Erscheinungsbild mit extremen Merkmalen des jeweiligen Rassestandards, etwas, das allgemein als „Übertypisierung“ bezeichnet wird.
Übertypisierungen finden sich bei zahlreichen Hunderassen wieder: Der Fang von einigen ohnehin bereits kurzschnäuzigen bzw. brachycephalen Rassen wie dem Mops oder der Französischen Bulldogge wurde in den vergangenen Jahrzehnten derart weiter zurückgezüchtet, dass diese Hunde häufig nur noch mit geöffneter Schnauze atmen können und ein Leben lang unter den Folgen des bewusst angezüchteten Kindchenschemas zu leiden haben.
Mops
Aber nicht nur die kleinen Gesellschaftshunde sind von pervertierten Übertypisierungen betroffen. Auch große Hunde wie Mastino Napoletano, St. Hubertushund (Bloodhound), Shar-Pei (Chinesischer Faltenhund) sowie der Deutsche Schäferhund haben unter diesen bewusst erzeugten Zuchtergebnissen zu leiden.
Shar-Pei
Wie konnte es dazu kommen, dass heute bewusst Hunde gezüchtet werden, die zum Teil erhebliche körperliche Einschränkungen aufweisen? Hundehaltung diente zu früheren Zeiten einem bestimmten Zweck: Hunde waren tatsächlich Nutztiere und den Menschen in vielen Arbeitsbereichen eine große Hilfe. Aus diesem Grund erfolgte zu früheren Zeiten eine Zuchtauswahl nach Gesundheit und Befähigung, sprich eine Zuchtselektion nach Leistung. Es war gerade der Einsatz des Hundes als Nutztier, der die Menschen zwang, gesunde, leistungsfähige Hunde zu züchten. Wie diese Hunde aussahen, spielte nur eine untergeordnete Rolle.
Im Wege der Industrialisierung wurden Hunde als Gebrauchstiere zunehmend überflüssig und der Anspruch des Menschen an den Hund unterlag ebenfalls dem Wandel der Zeit: Der Hund wurde vom Nutztier zum Haustier. Heute wird er zumeist „nur“ als Begleiter und Familienmitglied gehalten und in der Zucht wird auf Grundlage des optischen Erscheinungsbildes selektiert. Ein Vergleich heutiger Hunderassen mit den ursprünglichen Formen zeigt das Dilemma der aktuellen Zucht ganz deutlich: Viele Rassen sind derart übertypisiert, dass sie ihren ursprünglichen Aufgaben körperlich gar nicht mehr nachkommen könnten.
Nicht allein der Gesundheit kommt in der modernen Zuchtauswahl nur noch eine untergeordnete Rolle zu, auch Nervenstärke und Wesensfestigkeit werden kaum noch berücksichtigt. Wenn Schönheit und die Entsprechung des jeweiligen Rassestandards alleinige Zuchtziele sind, wundert es nicht, dass einzelne Individuen aller Rassen mitunter deutliche Wesensmängel in Form von Angst und Unsicherheit aufweisen. Diese übersteigerte Angst bzw. Unsicherheit kann letztlich auch in Aggression umschlagen. Zuchtziel sollte deshalb nicht nur der körperlich gesunde, sondern auch wieder der wesensfeste und nervenstarke Hund sein, der den Anforderungen einer von Menschen geprägten Umwelt psychisch gewachsen ist.
Das angezüchtete Leid ist keinesfalls unbeabsichtigt. Gerade die Übertypisierungen bei Mops und Französischer Bulldogge sind gefragte Merkmale. Das Kindchenschema mit den großen Knopfaugen, der hohen Stirn und der niedlichen Stupsnase ist vom Käufer tatsächlich so gewollt.
Brachycephale Rassen unterschiedlicher Gattung: Englische Bulldogge und Perserkatze
Offensichtlich kranke Hunde werden nicht etwa von der Zucht ausgeschlossen, sondern stattdessen sogar mit einem Championtitel ausgezeichnet. So zeigt der BBC-Film „Pedigree Dogs Exposed“, dass der Gewinner von Crufts (der weltweit größten Hundeausstellung) 2003 aufgrund drohender Überhitzung für das Siegerfoto auf einem Eisblock sitzen musste. Es handelte sich um einen Pekinesen, der aufgrund seiner zu kurzen Nase nicht mehr richtig atmen konnte – und das trotz bereits erfolgter OP.
Der Crufts-Gewinner von 2003 teilt dieses Schicksal der ständigen Atemnot und drohenden Überhitzung mit vielen anderen brachycephalen Rassen wie Mops, Französische Bulldogge, Belgischer Griffon, Englische Bulldogge etc.
Französische Bulldogge
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Das Röcheln dieser Hunde ist keinesfalls Kommunikation in einem speziellen „möpsischen Hundedialekt“, es ist auch nicht im geringsten Sinne niedlich, sondern ganz im Gegenteil: Es ist ein ernst zu nehmendes Symptom einer schweren Erkrankung, bei der der Hund beständig das Gefühl hat zu ersticken. Einen nach Luft ringenden Menschen würde wohl kaum jemand als „niedlich“ bezeichnen oder gar amüsiert über seine Atembeschwerden lächeln.
Nun sollte man eigentlich davon ausgehen, dass der Mensch das Leiden seines Hundes wahrnimmt. Jeder Hundehalter, der selbst unter Migräne, Bindehautenzündungen, Asthma, Arthrose oder sonstigen Beschwerden leidet, sollte doch nachvollziehen können, wie sich sein Hund fühlt.
Tatsächlich ist den meisten Besitzern eines entsprechenden Hundes gar nicht bewusst, dass ihr Tier leidet.
Unsere Hunde ermöglichen uns ungewollt, ihr Leid nicht wahrzunehmen:
„Hunde neigen bei Schmerzen zur Tapferkeit – das gehört zu ihrem Wolfserbe. Sie jammern und klagen nicht und versuchen eisern weiterzulaufen, denn wer im Wolfsrudel läuferisch nicht mithalten kann, wird von der Meute getrennt. Und das bedeutet in freier Wildbahn den sicheren Hungertod.“
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Der Hund kann nicht anders: Er zeigt keine Schwäche. Es ist an uns, dieses Leid endlich bewusst wahrzunehmen.
Boxer mit ausgeprägtem Vorbiss bzw. „Hechtgebiss“
Tierkliniken haben sich mittlerweile auf spezifische Rassenprobleme eingestellt. Aufgrund der Kopfgröße der Welpen und des engen Beckens der Zuchthündinnen kommen, einer Studie von Prof. Baeton zufolge, etwa 86 % aller Englischen Bulldoggen per Kaiserschnitt zur Welt. Hiervon ebenfalls betroffen ist die Französische Bulldogge. Aus anatomischen Gründen ist ein natürlicher Deck- bzw. normaler Geburtsvorgang bei diesen Rassen häufig nicht mehr möglich. Dementsprechend spezialisieren sich Tierkliniken zum Teil auf Geburtshilfe sowie auf die operative Korrektur des Gaumensegels.
Auch die Futtermittelindustrie hat die Zeichen der Zeit erkannt und produziert Fertigfutter, welches brachycephalen Rassen die häufig erschwerte Futteraufnahme erleichtern soll. Die gesundheitlichen Probleme dieser Hunde werden von der Gesellschaft also anscheinend als völlig selbstverständlich hingenommen und als „rassetypisch“ eingestuft.
Basset Hound
Nun stellt sich die Frage, weshalb derartige Züchtungen in Deutschland nicht verboten sind. Grundsätzlich sind Qualzüchtungen in Deutschland gem. § 11b TSchG tatsächlich verboten:
§ 11b TierSchG
(1) Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten oder durch bio- oder gentechnische Maßnahmen zu verändern, wenn damit gerechnet werden muss, dass bei der Nachzucht, den bio- oder gentechnisch veränderten Tieren selbst oder deren Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten.
(2) Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten oder durch bio- oder gentechnische Maßnahmen zu verändern, wenn damit gerechnet werden muss, dass bei den Nachkommen
a) mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten oder
b) jeder artgemäße Kontakt mit Artgenossen bei ihnen selbst oder einem Artgenossen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führt oder
c) deren Haltung nur unter Bedingungen möglich ist, die bei ihnen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führen
(3) Die zuständige Behörde kann das Unfruchtbarmachen von Wirbeltieren anordnen, wenn damit gerechnet werden muss, dass deren Nachkommen Störungen oder Veränderungen im Sinne des Absatzes 1 oder 2 zeigen.
(4) Die Absätze 1, 2 und 3 gelten nicht für durch Züchtung oder bio- oder gentechnische Maßnahmen veränderte Wirbeltiere, die für wissenschaftliche Zwecke notwendig sind.
Da der Begriff Qualzucht in § 11b TSchG vom Gesetzgeber aber nicht hinreichend konkretisiert wurde, unterliegt er in der Praxis der Auslegung des jeweils erkennenden Gerichts. Dabei stellt die Formulierung in Abs. 1 und 2 „wenn damit gerechnet werden muss“ ein weitere Hürde dar.
Ein Urteil des BVerwG aus dem Jahr 2009 (BVerWG 7 C 4.09) erschwert den Vollzug des § 11b TSchG aufgrund dieses Erfordernisses nun zusätzlich: Den Behörden obliegt derzeit die Pflicht zu beweisen, dass ein Merkmal tatsächlich signifikant häufig auftritt und es sich hierbei nicht nur um eine zufällige, mithin nicht gewollte Vererbung handelt. Eine „nur nahe liegende Möglichkeit“, dass Merkmale i.S.d. § 11b TSchG auftreten, reicht zur Erfüllung des gesetzlichen Tatbestandes nicht aus.
1999 wurde mit dem „Gutachten zur Auslegung des § 11b des TSchG“ der bislang einzige und leider auch unverbindliche Versuch unternommen, Verstöße gegen das Qualzuchtverbot umfassend zu beschreiben. Ein Entwurf zur Neuformulierung des TSchG liegt den Bundesländern und den betroffenen Verbänden bereits vor.
Es bleibt zu hoffen, dass eine Neuregelung dazu beiträgt, künftiges, durch Qualzucht bewusst erzeugtes Leid zu verhindern und dass eindringliche Appelle an die Vernunft des Menschen nicht weiter ungehört bleiben.